29. April 2017
Ötztal Tourismus

„Wir haben heute ein Problem mit dem Genuss“

Bereits zum zweiten Mal trafen sich Vordenker, führende Touristiker und Interessierte beim Symposium „Denken im Eis“ in Sölden zum exklusiven philosophischen Austausch. Verhandelt wurde in diesem Jahr das komplexe Spannungsverhältnis von Genuss und Verzicht, das vor allem die Tourismusbranche vor große Herausforderungen stellt.

60 Teilnehmer aus unterschiedlichen Branchen

Die Debatten bei der hochkarätigen Denkveranstaltung inmitten der Ötztaler Alpen reichten vom „Handy als Werkzeug der Präsenzgesellschaft“ (Tarek Leitner) bis hin zum „Prinzip des Ankommens“ (Gerhard Schulze) als eigentliche Zielsetzung des Reisens. Viele der rund 60 Gäste in Söldens ice Q auf 3.048 m Seehöhe waren auch im vergangenen Jahr mit dabei. „Die Mischung aus spektakulärer Bergwelt, hochkarätigen Referenten und vielen spannenden Gesprächspartnern macht den Reiz der Veranstaltung aus“, verrät einer der Teilnehmer. Die Gastgeber Angelika und Jakob Falkner begrüßten unter anderem den oberösterreichischen Wirtschaftschaftslandesrat und Landeshauptmann-Stellvertreter Michael Strugl, Österreich-Werbung-Chefin Petra Stolba oder den Vorstands-Vorsitzenden der Bank für Tirol und Vorarlberg Gerhard Burtscher. „Wir freuen uns ganz besonders, mittlerweile Menschen aus vielen unterschiedlichen Branchen begrüßen zu dürfen“, so Mitorganisator Martin Schumacher von der Managementberatung conos.

Genuss, Ort und Zeit

Mit der Frage „Wo leben wir denn?“ eröffnete der ORF-Moderator, Romy-Preisträger und Autor Tarek Leitner im Sölder Hotel Das Central die Denkveranstaltung. Wie in seinem gleichnamigen Buch begab er sich gemeinsam mit den Teilnehmern auf die Suche nach „glücklichen Orten.“ Dabei ging es ihm weniger um die Beschaffenheit der Ziele, als vielmehr um das, was diese Orte mit einem Menschen machen.

Leitner vertiefte in Sölden schließlich die Kernaussagen aus seinem Werk „Mut zur Schönheit“. Seine Warnung vor dem schleichenden Flächenverbrauch sowie der Bodenversiegelung durch fragwürdige Bauwerke führt für ihn zu einer fundamentalen Umgestaltung von landschaftlicher Identität. Der damit einhergehende Verlust von Schönheit ist für ihn eine elementare Bedrohung, der man sich aktiv entgegenstellen müsse. Gerade um den Genuss dieser Schönheit auch zukünftigen Generationen zu ermöglichen.

Ein „glücklicher Ort“ könne dabei überall sein solange er entschleunigt und von der permanenten Hektik, der permanenten Verfügbarkeit des täglichen Lebens befreit. Ein Gedankengang, der sich durch die gesamte Veranstaltung zog und von den Referentinnen und Referenten immer wieder aufgegriffen wurde.

Ob in der „Blitzartigkeit des Genusses“ wie es der Philosoph Robert Pfaller formulierte oder der „permanenten Ungegenwärtigkeit“ von Matthias Burchardt, in der sich kein Genuss einstellt – immer wieder fiel das Augenmerk auf den Genussmoment in einer hektischen Welt, die so gut wie keine Zeit lässt, um sich auf den Genuss einzulassen.

Genuss und Kultur

Auf die kulturelle Dimension von Genuss legten die Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler und der Publizist Wolfgang Reiter in ihrem gemeinsamen Vortrag den Fokus. Sie verfolgten die Geschmacksentwicklung über die Epochen hinweg bis hin zu unseren modernen Essgewohn- und Sonderheiten.

Verändert habe sich im Laufe der Zeit vor allem auch, wer darüber entscheidet, was gesund und was ungesund ist. In der Frühzeit des Menschen wurde unser Geschmack noch vom den bloßen Überlebensdrang geprägt, um schädliches von wohltuendem Essen unterscheiden zu können.

Heute geht es um naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die uns vermeintlich darüber Auskunft geben, was gut für uns ist. „Was wir dabei vergessen ist, dass Genuss selbst eine gesundheitsfördernde Wirkung hat“, betont Hanni Rützler. Es komme also nicht nur darauf an, was wir zum Beispiel essen, sondern auch wie gerne.

Genuss und Welt

Der Philosoph und Germanist Matthias Burchardt arbeitete in seiner Präsentation mit faszinierender Präzision die unterschiedlichen Konsum-Typen und ihre spezifische Art und Weise heraus mit dem Genussgut Essen umzugehen.

Vom Model über den Hektiker bis hin zum Social Media Typen, bei dem „die Grenze von Realität und Virtualität überschritten wird und die Speise zur Trophäe, zum bloßen Lifestyle-Element wird“ beschreibt Burchardt treffsicher die Grundmuster der modernen Konsumkultur – inklusive der damit verbundenen Perversion.

Mit Genuss habe das alles wenig zu tun, so der Experte. Im Veganismus und den zahlreichen anderen Spielarten der modernen Verzichtsmentalität verortet Burchardt vielmehr eine „pseudoreligiöse Verklärung, der ein naturalistischer Reduktionismus zugrunde liegt.“ Soll heißen: der Mensch wird als Maschine betrachtet, der man über die Nahrung „richtigen“ und „falschen“ Treibstoff einfüllt.

Dem gegenüber stellt Burchardt wie auch die anderen Rednerinnen ein Genusskonzept, das nicht von der Selbstkontrolle, sondern von der Weltoffenheit geprägt ist. „Der Mensch ist unfähig, sich gegenüber der Welt zu verschließen“, lautet Burchardts These in Anlehnung an den Existenzialisten Lévinas. Und er geht einen Schritt weiter, indem er den Genuss als die „Versöhnung mit der Welt“ definiert. Genuss ist für ihn Genuss mit anderen in einem Moment. „Gerade die Unwiederbringlichkeit des Geschmacksmoments ist ein unglaublicher Geschmacksverstärker“, so Burchardt.

Genuss ist Ankommen 

Mit dem Prinzip des Ankommens spannt der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze den Bogen zurück von der Kulinarik auf den Genussmoment des Reisens. Er unterscheidet Glück 1, das die Umstände von Glück umfasst wie zum Beispiel Reichtum und die Lebensumgebung, und Glück 2, das sich ausschließlich auf das Innenleben eines Menschen bezieht.

„Wir kümmern uns immer sehr viel um Glück 1, sehr wenig um Glück 2“, bemängelt Schulze und entwickelt darauf aufbauend das Prinzip des Ankommens als eigentliches Ziel der Glückssuche des Reisenden. Die Steigerungslogik, das immer mehr wollen und nie genug haben, sieht er als das alles dominierende Element und gleichzeitig als das eigentliche Problem auf der Suche nach dem Genuss. „Erlebnisse kann man nicht in steigernder Weise fortentwickeln, man muss sich auf sie im Moment einlassen.“ Als Genuss versteht Schulze eben jenes Einlassen auf das, was ist und – ähnlich wie Burchardt – den Genuss gemeinsam mit anderen. Dabei geht es nicht so sehr darum, wie das Drumherum beschaffen ist, sondern wie sehr der Reisende dazu in der Lage ist im Moment anzukommen.

Um das bewusste Ankommen beim Anderen geht es auch in dem Vortrag der Wiener Philosophin Katharina Lacina. Sie nähert sich dem Thema Genuss von der Seite des Eros, also der Liebe. „In einer multioptionalen Welt ist das Andere immer nur einen Klick entfernt“, umschreibt Lacina am letzten Symposiumstag das eigentliche Problem hinter Dating-Apps und der digitalen Begegnung.

„Die Begegnung in der realen Welt ist zunächst informationsschwach“, erklärt Lacina. Auftreten, äußere Wirkung, Sympathie sind die Anhaltspunkte nach denen man einen Menschen bewertet und entscheidet, ob man sich zu ihm oder ihr hingezogen fühlt. In der digitalen Welt verhalte es sich anders. Die Entscheidung, ob und inwiefern ein Mensch zu mir passt, wird auf der Grundlage von zahllosen hinterlegten Informationen getroffen.

Das aber führe dazu, so der Schluss der Expertin für Liebestheorien, dass Menschen immer häufiger mit sehr ähnlichen Menschen zusammenkommen. So genannte „Zwillingspaare“ ähneln sich in fast allen Bereichen – von den Interessen über den sozioökonomischen Hintergrund bis hin zur Physiognomie. Angesichts der scheinbar unendlichen Optionen, der damit verbundenen Möglichkeit, bei der kleinsten Irritation zum Nächsten überzugehen und der Tendenz zum Gleichen stellt Lacina abschließend die Frage „wo das Ankommen in einer solchen Welt bleibt.“

Gefangen in Tretmühlen

Zum Abschluss der dreitägigen Denkveranstaltung ging der Ökonom und Influencer Matthias Binswanger noch einmal den Gründen dafür nach, wieso wir uns nicht einfach von den Dingen lösen, die uns unglücklich machen. Zunächst stellt er fest: „Glück ist immer relativ.“ Dieser Schluss lasse sich Anhand von zahlreichen Vergleichen aus der Glücksforschung ziehen – zwischen einkommensstarken und einkommensschwachen Menschen, zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, unterschiedlichen Altersgruppen und zu unterschiedlichen Zeiten. „Menschen denken stark relativ und nicht absolut“, was er als ersten Verhinderungsgrund auf unserer Suche nach dem Glück beschreibt. „Die Status-Tretmühle lässt uns immer auf die Anderen blicken: unsere Freunde, Verwandten, Kollegen und Nachbarn“, so Binswanger.

Daneben sieht der Schweizer noch drei weitere Tretmühlen, die uns im täglichen Leben vom Glück ablenken: die Anspruchs-Tretmühle, die Multioptions-Tretmühle und die Zeitspar-Tretmühle. Man wolle immer mehr, obwohl der materielle Besitz nicht nachhaltig glücklich macht, man habe immer mehr Optionen, obwohl uns die Auswahlmöglichkeiten quälen. Und wir entwickelten immer neue Wege um Zeit zu sparen, ohne die freiwerdende Zeit anderes zu nutzen.

Das merkwürdige Leben in Tretmühlen erklärt Binswanger, der als einer der 10 einflussreichsten Ökonomen der Schweiz gilt, anhand des Arbeitsweges von Eigenheimbesitzern. „Eigenheimbesitzer sind grundsätzlich glücklicher als Mieter. Eigenheime sind aber in der Regel weiter vom Arbeitsplatz entfernt als Mietwohnungen und Pendeln gehört ganz allgemein zu den Dingen, die am unglücklichsten machen.“

Wer einen Ausweg aus diesem Dilemma suche, so Binswangers abschließende Empfehlung, müsse sich unter anderem auf die Relativität des Glücks einlassen. „Es ist besser ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu sein, als ein kleiner Fisch in einem großen Teich.“ Oder in Hinblick auf eine globalisierte Welt in der wir uns mit fast jedem vergleichen können anders formuliert: „It’s better to be a local hero than a global loser.“

Zum Symposium

Von 24. bis 26. April 2017 haben die Bergbahnen Sölden, das 5-Sterne-Hotel Das Central, die Managementberatung conos und Ötztal Tourismus beim zweiten Denken im Eis zum Nachdenken eingeladen. Darüber, was Lust und Lebensfreude eigentlich noch bedeuten in einer Welt, die sich scheinbar nur noch um Gesundheit, Selbstoptimierung, Selbstkontrolle, Verzicht und Leistungssteigerung dreht. Und welche Konsequenzen der Tourismus aus all dem ziehen muss. Die hochkarätigen Vorträge fanden auch in diesem Jahr im Sölder Hotel Das Central und im ice Q am Gaislachkogel statt. Begleitet wurde das Symposium durch Kulinarik auf höchstem Niveau sowie einem attraktiven Rahmenprogramm aus Kabarett und gemütlichem Beisammensein.

Weitere Informationen: www.soelden.com/denken-im-eis

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Ötztal Tourismus
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ORF-Moderator Tarek Leitner hielt den Eröffnungsvortrag. 

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)

Diskurs zu philosophischen Fragen auf 3.048 m. Jakob Falkner (GF Bergbahnen Sölden) begrüßte Oberösterreichs LH-Stv.  Michael Strugl, ÖW-Chefin Petra Stolba, Referentin Hanni Rützler, Organisator Martin Schuhmacher und Philosoph Robert Pfaller (v.l.n.r). im ice Q. 

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)

Robert Pfaller widmete sich der „Blitzartigkeit des Genusses“. 

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)

Der Ökonom Mathias Binswanger referierte über das Leben in Tretmühlen und dessen Folgeerscheinungen. 

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)

Einzigartige Location für die hochkarätige Denkveranstaltung: das ice Q am Gaislachkogl in Sölden. 

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)

Zeit zum Nachdenken für die Teilnehmer im Rahmen des dreitägigen Symposiums.

Bildnachweis: Ötztal Tourismus / Rudi Wyhlidal (Abdruck honorarfrei)